Ein Geologe im Strafvollzug

Michael Pirrung

Zwei Vorträge zu Plattentektonik im Knast – ist das eine verrückte Idee? Nein finde ich und probiere es aus. Vermittelt durch eine Weiterbildungsmaßnahme meiner Frau kontaktiert eine Lehrerin der JVA das Institut und bucht mich nach Austausch einiger E-Mails im Angebot „Rent a Prof“ – für mich eine Frage der Ehre, dass ich da mitmachen möchte. Wenn auch ein unsicheres Gefühl sich in den Stunden vor dem Geschehen in mir breit macht – auf was hast Du Dich da eingelassen? Beim Warten am Bahnsteig Fetzen einer Durchsage – „fällt wegen Oberleitungsschaden aus“ – also packe ich das Rad und springe in den nächsten Zug, der eine Station früher als gewünscht einigermaßen in der Nähe des Zielortes hält. Im Zug kein Handyempfang, ich versuche herauszufinden, wie ich von dort weiter bis zum Ziel komme, keine Chance. Erleichterung, als die freundliche Kundenbetreuerin im Betriebsinformationssystem nachschaut – mein Zug ist nicht betroffen. Ich steige um und bin nach einigen Kilometern Radeln mit Laptoptasche und Rucksack vor meinem Ziel – Sicherheitsglas, viele Kameras, Stacheldraht ähnlich Natodraht, abweisender kann kaum ein Vorlesungsort sein. Der Empfang zieht sich, einige sind vor mir dran. Ich gebe den Perso ab, Laptop und Anschauungsmaterial darf ich mit reinnehmen – was nur dank der engagierten Vorbereitung der Lehrerin, Frau Martin, geht. Freundlicher Empfang, wir schauen uns den Vortragsraum an, ich sortiere mein Material. Dann noch eine Tasse Kaffee und das Abenteuer beginnt mit der Hauptschulklasse.


Fenster sind vergittert, natürlich. Erfreulicherweise sind die meisten planmäßigen Teilnehmer da, ausnahmslos junge Männer. Freundliche Begrüßung durch die neun Teilnehmer mit dem Wunsch den Hauptschulabschluss zu schaffen, dann lege ich los. Nur wenige dm vor mir sitzt ein Schüler, über die
Gründe für sein Hiersein grüble ich nicht. Sehr bald kommt die erste Frage. Und die nächste. Ich bin überrascht über so viele Fragen und versuche so gut ich kann zu erklären. Und das kommt an, man sieht es an den Gesichtern. Manchmal etwas überraschende Fragen. Ich ignoriere niemandes
hochgestreckten Arm und brauche lange. Zu lange? Es läuft eigentlich ganz gut und die 5 minütige Pause gibt kurzfristige Entspannung vom Redefluß. Aber auch einen Eindruck von der Gruppendynamik, die Sprache wird vor dem Klassenzimmer schnell laut und rauh, so etwas bin ich nicht gewöhnt.


Dann die zweite Stunde, so gut es geht mit praktischen Demonstrationen, was sind z.B. P- und was sind S-Wellen, da fällt einem Signalweiterleitung in Wänden ein und man kann etwas mit dem Zeigestock veranschaulichen. Mit wenigen Hilfsmitteln wie einer zusammengeschobenen Jutetüte und dem
Knacken beim Zerbrechen von Tafelkreide wird illustriert, was in Faltengebirgen und an Störungen passiert. Die Bilder habe ich so gewählt, dass aus meiner Sicht nur highlights zu sehen sind, die brutale Wirkung eines Bebens, einer der ästhetischten Vulkane. Dann die Aufgabe zu erklären warum das alles passiert, wo die Energie zur Plattenbewegung herkommt. Ich schaffe es gerade bis zur vorletzten Folie, dann ist die erste Doppelstunde rum. Das Mittagessen ist kurz, wir bekommen das selbe wie die „Bewohner“, bleiben aber unter uns. Danach die zweite Klasse, Realschule diesmal, selbes Programm, einige zusätzliche Folien, es wird emsig mitgeschrieben. Und das Fragengewitter ist enorm, kaum eine Minute ohne Frage, das strengt an. Bei einer Frage nach schwarzen Löchern muß ich auf die Physik verweisen und die Antwort auf eine abstruse Frage muß ich kurz halten. Ich schaffe es am Schluß nur noch mit Mühe durch den Stoff zu kommen. Und dann ist es vorüber. Ich bin erleichtert. Ich bin froh als ich das Gebäude verlassen und ins Sonnenlicht treten kann. Und dankbar für diese Erfahrung, die super Vorbereitung sowohl der Bürokratieabläufe als auch die Einstimmung der Schüler durch das äußerst engagierte Lehrpersonal.


Auch wenn es für sie nach ihrer Entlassung sehr schwer werden wird. Und die Gesellschaft sich für diese Bevölkerungsgruppe wenig interessiert, Stichworte z.B. Stelleneinsparung, Fachkräftemangel,… und - wie bekommt jemand danach eine Wohnung, eine Arbeitsstelle? Aber ich weiß – hierher möchtest Du wieder kommen, um jungen Menschen Dein Fachwissen zu vermitteln in der Hoffnung, dass zumindest einige von Ihnen eine zweite Chance bekommen und nutzen.